Die Vorfreude auf morgen Früh ist bei Julia Mayer (DSG Wien) schon seit Tagen hoch. Dann bestreitet die ÖLV-Rekordhalterin im Marathonlauf ihre erste Weltmeisterschaft, nachdem jene im Halbmarathon im vergangenen Jahr ausgefallen ist. „Die Vorfreude, morgen zu laufen, wird dadurch noch gesteigert, dass meine Vorbereitung gut ist“, berichtet die Niederösterreicherin, die seit Montag in Budapest ist. Neben der Vorfreude spürt sie auch Nervosität, ihr Coach Vincent Vermeulen trägt wesentlich zur Beruhigung bei. Denn aktuell ist die 30-Jährige zum Nichtstun verdammt. „Die letzten zwei Trainingswochen waren noch ziemlich hart, jetzt ist Regeneration angesagt. Ich laufe diese Tage sehr wenig, der Fokus liegt auf dem Energiesparen.“ Das bedeutet, keine Unternehmungen, wenig Zeit draußen in der sommerlichen Hitze der Metropole. Kurzum: „Eine ziemlich fade Woche!“
Verschiedene Szenarien
Immer wieder ist sie verschiedene Szenarien über den Rennverlauf im Kopf durchgegangen, „auf einem coolen und sehr zuschauerfreundlichen Rundkurs mit der Vierfachüberquerung der Brücke mit einem leichten Anstieg“. Vielleicht wird es ein schnelles Rennen, weil die ostafrikanische Spitze bei Marathonläufen der Frauen selten langsam läuft und dies auch die Verfolgergruppe anstacheln könnte. Vielleicht wird es ein konservatives Rennen, weil der Respekt vor der Hitze hoch ist. Julia Mayer nimmt es gelassen: „Ich bin besser drauf als beim VCM im April.“ Nur die Ungeduld muss sie immer wieder zügeln: „Am liebsten würde ich gleich loslaufen“, erzählte sie im Gespräch mit RunAustria bereits zu Wochenmitte. Motiviert wird sie in diesen Tagen zusätzlich von der Betreuung des ÖLV-Teams vor Ort, eine neue Erfahrung für sie auf diesem Level.
Minimal mehr Qualität
Mut macht ihr eine gelungene Vorbereitung. „Im Prinzip war diese, meine zweite Marathon-Vorbereitung, ähnlich zur ersten vor dem VCM. Vergleichbare Trainingseinheiten, vergleichbare Umfänge, aber minimal mehr Qualität und minimal mehr Tempo“, schildert sie. Selbstvertrauen für das WM-Rennen gebe nicht nur diese Erkenntnis, sondern auch die Beobachtungen aus den gemeinsamen Trainingsläufen mit anderen Athletinnen, unter anderem Vize-Europameisterin Matea Parlov-Kostro aus Kroatien, die sich ebenfalls in Livigno auf den WM-Marathon vorbereitete.
Einen wichtigen Schwerpunkt nahm in der Vorbereitung die Anpassung an spezifische Gegebenheiten des WM-Marathons ein. Erstens die frühe Startzeit um 7 Uhr. Wochenlang stand Mayer um 4:30 Uhr auf, um ein kleines Frühstück zu sich zu nehmen, um voller Energie in den Morgenlauf zu gehen. „Der Vorteil war: Zu diesem Zeitpunkt war es in der Höhe noch recht kühl“, schmunzelt sie. Die Herausforderung war, trotz des frühen Aufwachens lange genug zu schlafen. Zweite Herausforderung werden die sommerlichen Bedingungen. Da profitierte Mayer erstens davon, dass es in dieser zweiten Sommerhälfte auch im Höhentrainingslager ansprechende Tageshöchsttemperaturen hatte und zweitens von der Wärmekammer im Trainingszentrum ihres Trainers Vincent Vermeulen in der Ramsau. Dort absolvierte sie etliche Laufbandeinheiten unter künstlichen Bedingungen.
Mit Köpfchen
Es wird tatsächlich heiß in Budapest – das ist keine neue Erkenntnis nach den bisherigen Wettkampftagen, die an, was die Hitze betrifft, Rekord-Weltmeisterschaften in Athen, Sevilla oder Osaka erinnern. Doch am Marathon-Wochenende spitzt sich der Spätsommer in der ungarischen Hauptstadt zu und es werden Tageshöchsttemperaturen von deutlich über 35°C. vorhergesagt. Für die Marathonzeit zwischen dem Startschuss um 7 Uhr sowie der Zielankünfte ab ca. 9:20 Uhr für die Besten im Feld sind Temperaturen zwischen 22° und 27°C zu erwarten. Um einen Marathon zu laufen, sind das heiße Temperaturen. „Wenn es so warm ist, ist alles früher anstrengender. Wenn die erste große Anstrengung im Marathon bei 30 Kilometer zu erwarten ist, dann kommt sie bei solchen Bedingungen früher. Das ist ein großer Unterschied!“, erklärt Mayer. Das hat natürlich Auswirkungen auch auf die Laufzeit. Negativ sieht die Österreicherin das nicht, sondern sie erkennt sogar einen leichten Vorteil für sich. Denn sie fühlt sich bei Hitze prinzipiell nicht so unwohl. „Man muss mit Köpfchen laufen und darf nicht überpowern. Das heißt, ich werde versuchen, mich in einer Gruppe dranzuhängen, aber nicht um jeden Preis.“
Mayer will sich an die besten Europäerinnen orientieren und vom Start weg in die entsprechende Gruppe gehen. Dann, nach etwa zwei Kilometer, will sie eine Einschätzung darüber treffe, ob das Tempo der Gruppe zu hoch für sie ist oder nicht. Es sind einige prominente Europäerinnen am Start, die schon ein deutlich höheres Leistungslevel als Mayer nachgewiesen haben: dazu gehört Parlov-Kostro genauso wie Europameisterin Aleksandra Lisowska aus Polen. Außerdem: die italienische EM-Fünfte Giovanna Epis, die Olympia-Sechste Melat Kejeta, die erst im Mai wettkampftechnisch aus einer Babypause zurück gekehrt ist, die Kroatin Bojana Bjerljac, die Belgierin Hanne Verbruggen, die Spanierin Meritxell Soler. In dieser, einer potenziell größeren Verfolgergruppe, würden auch einige nordamerikanische Läuferinnen gut hineinpassen.
Stark besetzter Frauen-Marathon
An der Spitze ist der Marathonlauf der Frauen wohl besser besetzt als jener bei den Männern 24 Stunden später. Sowohl Kenia als auch Äthiopien schicken durchaus leistungsstarke Teams ins Rennen. Kenias Topläuferin ist Rosemary Wanjiru, alle anderen Topstars aus Kenia haben aber abgesagt. Äthiopiens Quartett wird von Titelverteidigerin Gotytom Gebreslase angeführt, doch Tsegay Gemechu und Yalemzerf Yehualaw gehören ebenso zum absoluten Favoritenkreis wie die Läuferin mit der schnellsten Vorleistung im Feld, Äthiopiens Rekordhalterin und Valencia-Marathon-Siegerin Amane Beriso. Das Feld der sieben Athletinnen mit Bestleistungen unter 2:20 Stunden komplettieren die Israelin Lonah Chemtai Salpeter, im Vorjahr WM-Dritte, und die ehemalige US-Rekordhalterin Keira D’Amato. Die Qualität des Feldes spiegelt sich auch in der Weltrangliste wider: Sechs der Top-Ten sind am Start.
Das ist bei den Männern anders, wo nur zwei der Starter in den Top-Ten der Weltrangliste liegen, drei weitere in den Top-20. Der Favorit ist Titelverteidiger Tamirat Tola, Tsegaye Getachew, Chalu Deso und Milkesa Mengesha sind die weiteren Äthiopier. Für Kenia starten Timothy Kiplagat, neben Tola der zweite sub-2:04-Läufer im Feld, Joshua Belet und Titus Kipruto. Für eine europäische Medaille kommen der Holländer Abdi Nageeye sowie die Israeli Gashau Ayale und Maru Teferi in Frage, auch der ehemalige Europarekordhalter Kaan Kigen Özbilen ist im Alter von 37 Jahren noch einmal dabei. Außerdem befinden sich einige starke Starter aus anderen afrikanischen Ländern im Starterfeld. Johannes Motschmann, der sich in St. Moritz vorbereitet hat, und der Schweizer Adrian Lehmann sind Außenseiter.
Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2023 in Budapest