Die kürzlich entthronte Weltrekordhalterin Brigid Kosgei, Olympiasiegerin Peres Jepchirchir, Boston-Marathon-Siegerin Hellen Obiri und die äthiopische Weltrekordhalterin im 10.000m-Lauf und Halbmarathon, Letesenbet Gidey. Selten zuvor versprach ein Marathon der Frauen im Vorfeld so viel Wettkampfspannung gepaart mit Geschichten und großen Persönlichkeiten wie der New York City Marathon 2023. Wohl nur der London Marathon und Olympische Entscheidungen haben in den letzten Jahren ein ähnliches Qualitätspotenzial aufgewiesen.
RunAustria-TV-Tipp: Eurosport 1 überträgt den New York City Marathon am 5. November ab 14:30 Uhr live
Zwei hochkarätige Projekte
Ziel Nummer eins für die nach vielen Verletzungsproblemen in letzter Zeit wieder vollständig gesunde Brigid Kosgei ist selbstverständlich der Sieg beim Marathon am Sonntag beim Marathon, der traditionell durch alle Stadtbezirke der Metropole führt. Im Vorfeld ihres ersten anvisierten Marathon-Finishs seit ihrem Triumph beim Tokio Marathon 2022 (in London 2023 musste sie angeschlagen aussteigen) äußerte sie jedoch bereits weiterführende Ziele. Dass ihr Weltrekord von Tigst Assefa beim Berlin Marathon verbessert wurde, dürfte ihr auf dem Magen liegen. „Der Weltrekord wird nach Kenia zurückkehren. Das wird nicht leicht, aber es muss Jahr für Jahr das Ziel sein, den Weltrekord zu brechen“, sagte die Kenianerin in New York vor Journalisten, wie die britische Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Auf dem New Yorker Marathonkurs ist eine Verbesserung des Weltrekords nicht möglich, weil einerseits traditionell keine Tempomacherinnen und Tempomacher vorgesehen sind und andererseits die Streckencharakteristik keine Zeiten im obersten Leistungssegment zulassen. „Das Feld ist irre stark. Ich fühle aber keinen Druck und laufe einfach mein Rennen“, zeigte sich die 29-Jährige gelassen.
Zweiter Marathon für Gidey
Letesenbet Gidey, die 2021 mit dem noch gültigen und immer noch überragenden Halbmarathon-Weltrekord von 1:02:52 Stunden aufhorchen ließ, hat ihr Marathon-Debüt im Vorjahr in Valencia in beeindruckenden 2:16:49 Stunden absolviert. Pech für sie, dass mit ihrer Landsfrau Amane Beriso eine andere Läuferin noch schneller war. Nach der Bahnsaison 2023, die mit der WM-Silbermedaille über 10.000m und dem zweimal verpassten Weltrekord über die halbe Distanz für ihre Klasse maximal gut, aber nicht sehr erfolgreich verlief, nahm die 25-jährige Äthiopierin nun einen zweiten Anlauf einer Marathon-Vorbereitung. Stand im Vorjahr die Laufzeit im absoluten Vordergrund, geht es in diesem Rennen darum, es unabhängig von der Zeitmessung zu gewinnen. Und tatsächlich wäre das historisch, denn seit 2011 hat keine äthiopische Läuferin mehr in New York gewonnen.
Erfolgreicher kenianischer US-Export
Im Vorjahr absolvierte Hellen Obiri, ehemalige Dominatorin und zweifache Weltmeisterin im 5.000m-Lauf, ihr Marathon-Debüt, das mit dem Umzug von Kenia in das On-Trainingscamp von Colorado einherging. Angesichts ihrer Klasse konnte der sechste Platz nicht als Erfolg gewertet werden. Gerade die Lebensveränderung brachte einige anfängliche Anpassungsschwierigkeiten für die Familie, wie Obiri verriet. Doch 2023 gelang ein echter Siegeszug: Nach Erfolgen bei den Halbmarathons in Ras Al Khaimah und New York triumphierte die 33-Jährige beim Boston Marathon und ist damit endgültig in der ersten Liga der Marathonläuferinnen angekommen. Seither ging es mit drei flotten, aber nicht superschnellen 10km-Läufen weiter. Der einzige, den sie nicht gewann, war trotz einer starken Leistung von 30:19 Minuten der Frauenlauf am „Big Apple“.
In New York sagte Obiri, dass sie den Druck angesichts der hohen Qualität im Starterfeld spüre, aber aufgeregt sei und den Startschuss kaum erwarten könne. Flankiert wurde diese Einstimmung von einem Statement ihres Trainers Dathan Ritzenhein, der ihr zutraut, im Marathon ein Niveau von 2:11 Stunden zu haben (vgl. Let’s Run.com). Bei optimalen Bedingungen und auf einer schnellen Strecke versteht sich.
Das Elitefeld der Frauen (Auswahl)
- Brigid Kosgei (KEN) – PB: 2:14:04 Stunden
- Letesenbet Gidey (ETH) – PB: 2:16:49 Stunden
- Peres Jepchirchir (KEN) – PB: 2:17:16 Stunden – New York Siegerin 2021
- Edna Kiplagat (KEN) 2:19:50 Stunden – New York Siegerin 2010
- Mary Ngugi-Cooper (KEN) – PB: 2:20:22 Stunden
- Hellen Obiri (KEN) – PB: 2:21:38 Stunden
- Sharon Lokedi (KEN) – PB: 2:23:23 Stunden – New York Siegerin 2022
- Kellyn Taylor (USA) – PB: 2:24:29 Stunden
- Molly Huddle (USA) – PB: 2:26:33 Stunden
- Solange Jesus (POR) – PB: 2:28:15 Stunden
Fragezeichen hinter Jepchirchir
Olympiasiegerin Peres Jepchirchir gelang vor zwei Jahren in New York Historisches. Erstmals gewann eine frisch gebackene Olympiasiegerin einen Herbst-Marathon. Nach ihrem Sieg beim Boston Marathon 2022 war die 30-Jährige jedoch mehrmals verletzt und ihre beeindruckende Erfolgsserie kam ins Stocken. Ob der New York City Marathon 2023 sie auf die Siegerstraße zurückführt, ist freilich fraglich. Eine vor wenigen Tagen bei einem Trainingslauf erlittene Wadenverletzung lässt so manchen Medienvertreter bereits davon schreiben, dass Jepchirchir am Sonntag gar nicht am Start sein wird. Sie sei in Behandlung bei den Physiotherapeuten des Veranstalters und will am Tag vor dem Rennen eine Entscheidung treffen, erklärte sie offiziell.
Davor hatte die Kenianerin mit ihrem dritten WM-Titel im Halbmarathon am 1. Oktober in Riga und mit Aussagen in einem Interview mit Runners’ World, im Frühjahr beim dritten Platz in London in 2:18:37 Stunden maximal bei 75% ihrer Topform gewesen zu sein, für Aufsehen gesorgt. Da Jepchirchir auch Richtung Olympische Spiele denken muss und dafür dringend ein Top-Resultat bei hochkarätiger Konkurrenz im eigenen Land benötigt, wäre eine kurzfristige Absage und ein weiterer Marathonversuch, vielleicht in Valencia, absolut denkbar. Zumal der Kenianische Leichtathletik-Verband (Athletics Kenya) unlängst angekündigt hat, die Marathon-Teams für Paris 2024 frühzeitig bekannt zu geben – also wohl vor der Frühjahrssaison 2024. Das möge aber zu Jepchirchirs Vorteil sein, falls der Halbmarathon-WM-Titel ein ausreichendes Argument für eine Nominierung, die nicht ausschließlich an sportliche Kriterien geknüpft sein soll, reichen würde. Das gab die Kenianerin, vor drei Jahren in Sapporo ja Olympischer Champion, bei einem gestrigen Pressetermin in New York zu verstehen.
US-Duo mit Marathon-Comeback nach Mutterschaftspause
In der Auflistung der Top-Vier-Namen dieses Rennens sind weitere starke Läuferinnen noch gar nicht genannt. Zum Beispiel Vorjahressiegerin Sharon Lokedi, die damals für eine echte Sensation sorgte. Die erste von Under Armour ausgestattete Siegerin eines World Marathon Majors läuft diesem Erfolg aber seither wenig erfolgreich hinterher, der Wettkampf am Sonntag ist auch gesundheitsbedingt ihr erster seit 364 Tagen. Mary Ngugi, eine der Ex-Frauen des verstorbenen Olympiasiegers Samuel Wanjiru und mittlerweile mit Chris Cooper verheiratet, stand beim Boston Marathon in den letzten Jahren zweimal am Stockerl, ist in diesem Elitefeld aber maximal eine Außenseiterin wie auch ihre kenianische Landsfrau Viola Cheptoo, Überrraschungszweite 2021.
Der New York City Marathon ist der letzte große Marathon vor den US-Marathon-Trials im Februar in Orlando. Daher sind die meisten aus der amerikanischen Elite bereits früher im Herbst einen Marathon gelaufen. In New York gehen Kellyn Taylor und Molly Huddle, die auf ihr erstes Marathon-Finish seit 2019 und damit seit ihrer Babypause wartet, an den Start. Auch Taylor ist Mutter einer Tochter und sieht bei ihrem Comebackrennen in der 13-wöchigen Spanne zwischen dem New York City Marathon und den Trials laut eines NBC-Berichts kein Problem. „Ich kann an einem speziellen Tag eine 2:23er Zeit auf diesem Kurs laufen“, verkündete sie große Ziele. Das wäre im übrigen die schnellste je von einer Amerikanerin bei diesem Rennen erzielte Leistung.
Tola nach Absagen in Favoritenrolle
Mit so viel sportlichem Ruhm und Glanz kann das Elitefeld bei den Männern nicht mithalten. Der große Name im Feld ist Tamirat Tola, der auf US-amerikanischem Boden im Juli 2022 Weltmeister mit Meisterschaftsrekord in Oregon wurde. Bei zwei Teilnahmen hat es der Äthiopier beim New York City Marathon aber bisher nicht auf das Stockerl geschafft. Bei den Weltmeisterschaften von Budapest musste er im August die Mission Titelverteidigung aufgrund von Magenbeschwerden abbrechen. In die Favoritenrolle beim New York City Marathon ist der 32-Jährige auch deshalb gerückt, weil die kenianischen Stars Geoffrey Kamworor, der den Marathon in New York bereits zweimal gewonnen hat, und Evans Chebet, überlegener Sieger im Vorfeld, mit Verletzungen absagen mussten.
Hoffnungen auf kanadischen Premierensieg
Zu den Siegkandidaten in New York gehören auch der holländische Olympia-Silbermedaillengewinner Abdi Nageeye, der in seinen 20. Marathon geht, und der kanadische Marathon-Rekordhalter Cameron Levins. Levins war Fünfter des Tokio Marathon 2023, wo er in einer Zeit von 2:05:36 Stunden den nordamerikanischen Kontinentalrekord verbesserte. Das Canadian Running Magazine schwärmte unlängst von der Qualität der Trainingseinheiten des 34-Jährigen, der in Topform sein soll. Der Zweitschnellste laut Meldeliste, Shura Kitata, schrammte als Zweiter bereits zweimal knapp am Sieg in New York vorbei, 2018 und 2022. Angesichts des, auch durch Absagen bedingt, nicht sehr dichten Feldes – laut der Statistik von Let’s Run.com der (deutlich) am schlechtesten besetzte Major des Jahres – dürfte Albert Korir, Überraschungssieger 2021, ebenso seine Chance haben. Auch Maru Teferi aus Israel, Gewinner des Fukuoka Marathon 2022 und WM-Zweiter von Budapest, gehört zum Kreis der Siegkandidaten.
Starke europäische Präsenz
Neben Nageeye, Teferi und dem belgischen Ex-Europameister Koen Naert sind zwei weitere aussichtsreiche Läufer aus europäischen Mitgliedsverbänden am Start. Der italienische Rekordhalter Iliass Aouani hat sich nicht als einziger hinblicklich des schwierigen Kurses bei den Olympischen Spielen von Paris für den New York City Marathon entschieden und will dort die Tradition starker italienischer Leistungen fortführen. Der Deutsche Hendrick Pfeiffer bestreitet nach seiner persönlichen Bestleistung von 2:08:48 Stunden beim Berlin Marathon seinen zweiten vollen Marathon der Herbst-Saison, den er mit einem dreiwöchigen, intensiven Training vorbereitet hat. Davor hat er seine Lebensgefährtin Esther Jacobitz beim Köln Marathon begleitet. Der Brite Andy Butchart gibt sein Debüt.
Das Elitefeld der Männer (Auswahl)
- Tamirat Tola (ETH) – PB: 2:03:39 Stunden – Weltmeister 2022
- Shura Kitata (ETH) – PB: 2:04:49 Stunden
- Abdi Nageeye (NED) – PB: 2:04:56 Stunden
- Cam Levins (CAN) – PB: 2:05:36 Stunden
- Maru Teferi (ISR) – PB: 2:06:43 Stunden
- Koen Naert (BEL) – PB: 2:06:56 Stunden – Europameister 2018
- Iliass Aouani (ITA) – PB: 2:07:16 Stunden
- Albert Korir (KEN) – PB: 2:08:03 Stunden – New York Sieger 2021
- Zouhair Talbi (MAR) – PB: 2:08:35 Stunden
- Hendrick Pfeiffer (GER) – PB: 2:08:48 Stunden
- Yenew Alamirew (ETH) – PB: 2:08:56 Stunden
- Jemal Yimer (ETH) – PB: 2:08:58 Stunden
- Andrew Butchart (GBR) – Marathon-Debüt
- Edward Cheserek (KEN) – Marathon-Debüt
Marathon-Debüt von Cheserek mit vielversprechenden Vorboten
Die US-Topläufer sind Elkanah Kibet und Futsum Zienasellassie, die im Rennen um die Olympia-Startplätze maximal Außenseiterchancen haben dürften. Der Top-Lokalmatador ist aber der seit vielen Jahren in den USA lebende, aber mit kenianischer Staatsbürgerschaft laufende Edward Cheserek. Der 29-Jährige, der hauptsächlich in der kenianischen Höhe trainiert hat, spricht vor seinem Marathon-Debüt von einer guten Vorbereitung. Die Generalprobe ist mehr als gelungen: Cheserek gewann den Kopenhagen Halbmarathon Mitte September in einer eindrucksvollen persönlichen Bestzeit von 59:11 Minuten. Die US-amerikanische Laufplattform „Let’s Run“ wies darauf hin, dass Cheserek von Sketchers gesponsert wird und damit einen technologischen Schuhnachteil gegenüber den großen Firmen adidas und Nike mit ihren innovativen, neuen Modellen haben könnte. Dafür hat er ein gutes Omen: Cheserek ist mit Vorjahressiegerin Sharon Lokedi liiert.
Kszczot als Freizeitmarathonläufer
Rund 50.000 Läuferinnen und Läufer werden am Sonntag auf eine der berühmtesten Laufstrecken der Welt gehen. Der Event wird in über 200 Ländern der Welt live übertragen. In Europa hält Eurosport die Übertragungsrechte. TCS, Hauptsponsor des New York City Marathon, verspricht den technologisch fortschrittlichsten Marathon der Geschichte, was sich positiv auf das Fan- und Zuschauererlebnis auswirken soll, besonders vor Ort.
Wie immer gehen beim New York City Marathon etliche Prominente an den Start. Dieses Mal ist auch ein ehemaliger Laufstar dabei. Der mehrfache 800m-Europameister und zweimalige WM-Medaillengewinner Adam Kszczot bestreitet eineinhalb Jahre nach dem Ende seiner Leistungssportkarriere sein Marathon-Debüt und will deutlich unter drei Stunden laufen, wie er auf Social Media ankündigte.
TCS New York City Marathon